Warum immer mehr Jugendliche in Depressionen rutschen und was wir alle damit zu tun haben
Jugendliche verbringen heute viele Stunden am Tag in der digitalen Welt. Das Smartphone ist immer dabei, es bestimmt den Alltag, lenkt ab, verbindet und isoliert zugleich. Was auf den ersten Blick modern und normal wirkt, zeigt inzwischen schwerwiegende Folgen. Die Zahl der Jugendlichen mit Depressionen nimmt dramatisch zu. Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Fachleute und Psychotherapeutinnen schlagen Alarm. Doch woran liegt das genau und was können wir tun, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken?
Der Psychotherapeut Wolfgang Berger beschreibt in einem aktuellen Artikel auf springermedizin.at eine Entwicklung, die vielen aus dem Alltag bekannt ist. Kinder und Jugendliche tauchen immer früher und immer tiefer in digitale Welten ein. Bereits im Kinderwagen begegnen sie Tablets und Smartphones. Eltern halten ihre Erlebnisse in sozialen Medien fest. Später wird das Handy zum Dauerbegleiter. Die digitale Welt wird zur zweiten Realität. Der Austausch mit anderen findet immer weniger im echten Leben statt. Stattdessen läuft Kommunikation über Likes, Emojis und Filter. Der Wunsch nach Anerkennung verlagert sich ins Netz. Das führt oft zu Vereinsamung, zu Empathiemangel und zu einer Abhängigkeit von virtuellen Reizen. Die Seele bekommt nicht, was sie eigentlich bräuchte.

Was dabei oft übersehen wird, ist die Rolle der Emotionen. Kinder lernen den Umgang mit Gefühlen im direkten Kontakt mit Bezugspersonen. Sie beobachten Gesichter, hören Stimmen, erleben Trost, Freude oder Ärger im Miteinander. Diese Erfahrungen sind wichtig, um Gefühle benennen, ausdrücken und regulieren zu können. Fehlt dieser analoge Kontakt, verkümmert die Fähigkeit zur Emotionsregulation. Das hat Folgen. Wenn ein junges Mädchen im Netz beschimpft oder ausgeschlossen wird, braucht es jemanden, dem es sich anvertrauen kann. Kann sie das nicht, stauen sich Gefühle auf. Angst, Scham, Wut und Verzweiflung bleiben im Inneren stecken. Daraus kann eine Depression entstehen.
Die Zahlen sind eindeutig. Studien zeigen, dass Depressionen bei Jugendlichen seit Jahren zunehmen. Der OECD Bericht nennt das Jahr 2021 als Wendepunkt. Damals zeigten bereits vier von zehn jungen Erwachsenen Symptome einer Depression. Mädchen sind besonders häufig betroffen. Auch der österreichische Bericht zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen schlägt Alarm. Selbst die Pandemie war laut den Daten nicht der Hauptauslöser. Vielmehr gab es die Tendenz schon davor. Der Medienkonsum, der gesellschaftliche Druck und die ständige Vergleichbarkeit im Internet wirken sich langfristig negativ auf die psychische Gesundheit aus.

Auch das Verhalten vieler Eltern spielt eine Rolle. Aus dem Wunsch heraus, alles richtig zu machen, werden Kinder oft überbehütet. Die moderne Form dieser Erziehung nennt sich Curling Erziehung. Damit ist gemeint, dass Eltern ihren Kindern möglichst alle Hindernisse aus dem Weg räumen. Statt klare Regeln aufzustellen und Orientierung zu geben, möchten sie beste Freunde sein. Kritik wird vermieden, Lob wird übertrieben.
Gleichzeitig kennen sich die Kinder oft besser mit digitalen Medien aus als ihre Eltern. Das führt zu einer Umkehr der Rollen. Die Folge ist Unsicherheit auf beiden Seiten.
Die Schule könnte ein Ort sein, um gegenzusteuern. Der Vorschlag, ein Pflichtfach über digitale Medien einzuführen, klingt zunächst ungewöhnlich. Aber genau dort könnten Jugendliche lernen, wie Social Media funktioniert, wie Manipulation entsteht und wie man Inhalte richtig einordnet. Auch der Umgang mit Bildern, Videos und Algorithmen ließe sich dort vermitteln. Das Ziel wäre nicht die Verteufelung der Technik, sondern ein bewusster, reflektierter Umgang.
Psychotherapie kann Jugendlichen helfen, mit belastenden Erfahrungen umzugehen. In einem geschützten Raum lernen sie, ihre Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken. Das braucht Zeit, Vertrauen und professionelle Begleitung. Doch auch Eltern, Lehrpersonen und Fachleute können wichtige Schritte setzen. Entscheidend ist, wieder in echte Beziehung zu treten. Nicht das nächste Geschenk, nicht das perfekte Instagram Bild und auch nicht die ständige Erreichbarkeit machen Jugendliche stark, sondern ehrliche Gespräche, gemeinsame Zeit und das Gefühl, gesehen und verstanden zu werden.
Wir stehen an einem Punkt, an dem wir die Weichen neu stellen müssen. Nicht nur in der Klinik, sondern in unseren Familien, Schulen und Gemeinschaften. Die Seele braucht echte Nähe, echte Aufmerksamkeit und echte Verbindung. Nur so können junge Menschen lernen, mit sich selbst und mit der Welt zurechtzukommen.