Während internationale Institutionen mit geopolitischen Krisen, Klimakatastrophen und digitaler Desinformation ringen, zeigt der erste weltweite Risikobericht der Vereinten Nationen, dass zivilgesellschaftliche Akteure zunehmend systemrelevant werden, aber ohne strukturelle Unterstützung kaum handlungsfähig bleiben.

Der erste weltweite Risikobericht der Vereinten Nationen zeigt mit eindringlicher Klarheit, wie tief die Menschheit in ein Netz aus sich überlagernden Krisen verstrickt ist. Die größten Gefahren für unsere gemeinsame Zukunft sind nicht mehr abstrakt oder hypothetisch, sie sind real und wirken längst im Alltag von Millionen Menschen. Klimakatastrophen, großflächige Umweltverschmutzung, gesellschaftliche Spaltung und gezielte Desinformation gehören heute zu den drängendsten Herausforderungen. Besonders besorgniserregend ist die Einschätzung zu laufenden Kriegen. Diese werden nicht nur als militärische Konflikte bewertet, sondern als systemische Risiken mit weitreichenden Folgen für Migration, Rechtsstaatlichkeit und den globalen Zusammenhalt.

Ein System unter Druck

Mehr als 1.100 Fachleute aus Regierung, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft haben sich an der weltweiten Befragung beteiligt. Die Ergebnisse zeigen ein klares Muster: Internationale Institutionen sind oft gut darin, Risiken zu identifizieren, versagen jedoch in der wirksamen Reduktion und in der konkreten Bewältigung. Besonders schlecht vorbereitet ist die Weltgemeinschaft auf neue Pandemien, Cyberangriffe, die Auswirkungen von künstlicher Intelligenz und auf Machtkonzentration im Technologiesektor. Das Vertrauen in multilaterale Lösungen schwindet. Gerade in autoritär regierten Staaten wird internationale Zusammenarbeit zunehmend blockiert oder durch nationale Interessen ersetzt.

Desinformation als Brandbeschleuniger

Eine zentrale Erkenntnis des Berichts ist die Rolle von gezielter Desinformation als Motor vieler anderer Risiken. Falsche oder manipulierte Informationen untergraben nicht nur den demokratischen Diskurs, sondern erschweren humanitäre Hilfe, verzerren politische Entscheidungen und befeuern bestehende Konflikte. Die Informationskrise wird zur Vertrauenskrise. Zivilgesellschaftliche Organisationen erleben diese Entwicklung hautnah. Sie kämpfen nicht nur gegen Desinformation, sondern auch gegen zunehmende Repression, eingeschränkten Zugang zu Ressourcen und die Delegitimierung ihrer Arbeit.

Zivilgesellschaft als Rückgrat der Resilienz

Trotz aller Bedrohungen zeigen die Daten deutlich: Die Zivilgesellschaft ist ein entscheidender Teil der Lösung. Dort, wo staatliche Strukturen versagen oder politische Konflikte eskalieren, übernehmen zivilgesellschaftliche Initiativen Verantwortung. Sie vermitteln, dokumentieren, helfen, informieren. Vor allem in Bereichen wie Pandemievorsorge, Migration, sozialer Zusammenhalt oder Menschenrechte ist ihr Beitrag unersetzlich. Dennoch wird dieser Einsatz oft nicht anerkannt, geschweige denn strukturell unterstützt. Finanzielle Mittel fehlen ebenso wie politische Mitsprache oder Schutzmechanismen.

Kriege als Drehkreuze für neue Risiken

Die aktuellen bewaffneten Konflikte in Europa, im Nahen Osten und anderen Teilen Afrikas wirken wie Beschleuniger globaler Risiken. Sie lösen Vertreibungen aus, schwächen ganze Gesellschaften, verschärfen Armut und destabilisieren Nachbarregionen. Besonders gravierend sind die Wechselwirkungen zwischen Kriegen, Desinformation, Machtmissbrauch und staatlichem Kontrollverlust. In der Netzwerkanalyse des Berichts gelten geopolitische Spannungen als der am stärksten vernetzte Risikofaktor. Der Zusammenhang zu Massenbewegungen, dem Zusammenbruch rechtsstaatlicher Strukturen und der Verbreitung nichtstaatlicher Gewaltakteure ist dabei empirisch gut belegt.

Zukunftsszenarien mit Signalwirkung

Vier Szenarien beschreibt der Bericht für die Zeit bis 2050. In einem Zusammenbruchsszenario eskaliert der Klimawandel durch fehlende Kooperation, in einem anderen führen globale Desinformationskampagnen zu Spaltung und Misstrauen. Hoffnung geben die Szenarien des Fortschritts und des Durchbruchs, in denen die internationale Gemeinschaft durch gemeinsame Anstrengungen Pandemien eindämmt und Cyberkrisen bewältigt. Besonders im Breakthrough-Szenario wird sichtbar, was möglich wäre, wenn Staaten, Zivilgesellschaft und Wirtschaft koordiniert handeln und gegenseitiges Vertrauen aufbauen.

Wirkung braucht Beteiligung

Die Lehren aus dem Bericht sind deutlich. Die Welt kann Risiken nicht einzeln und getrennt betrachten. Vielmehr braucht es ein neues Denken, das Komplexität anerkennt und auf Vernetzung setzt. Für die Zivilgesellschaft bedeutet das zweierlei: Sie ist systemrelevant, aber systematisch benachteiligt. Ihre Potenziale liegen im Aufbau von Vertrauen, in der Frühwarnung, in der lokalen Verankerung. Doch dafür braucht sie Ressourcen, Schutzräume und politische Teilhabe. Die Vereinten Nationen planen bis Ende 2025 erste konkrete Maßnahmen gegen Desinformation. Ein zweiter Bericht ist für 2026 angekündigt.

Verantwortung beginnt im Kleinen

Was global erscheint, beginnt im Lokalen. Zivilgesellschaftliche Organisationen weltweit verdienen Anerkennung, politische Unterstützung und Zugang zu den Gremien, in denen über unsere gemeinsame Zukunft entschieden wird. In einer Welt, die aus den Fugen zu geraten droht, bleibt die organisierte Zivilgesellschaft eine der letzten stabilisierenden Kräfte. Ihr Vertrauen zu stärken, ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern eine Voraussetzung für internationale Sicherheit.

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