Im Juni 2025 hat der Verfassungsgerichtshof eine Entscheidung getroffen, die eine wesentliche Verbesserung für Personen im Straf- und Maßnahmenvollzug bedeutet: Bisher hatten Gefangene bei Beschwerden über den Vollzug kein Recht auf einen kostenlosen Anwalt. Diesen generellen Ausschluss von Verfahrenshilfe hat der Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erkannt, da dadurch die Durchsetzung von Rechten erheblich erschwert wird. Bis Juli 2026 muss nun das Strafvollzugsgesetz entsprechend geändert werden. Rechtsanwalt Dr. Helmut Graupner, der dieses Verfahren geführt hat, erläutert im Interview, wie es zu dieser Entscheidung gekommen ist und was sie für Gefangene bedeutet.

Herr Dr. Graupner, vielen Dank für die Möglichkeit, mit Ihnen über dieses wichtige Urteil zu sprechen. Könnten Sie vielleicht kurz beschreiben, warum Sie dieses Verfahren geführt haben?
Eines meiner Spezialgebiete ist der Maßnahmenvollzug. In dem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof habe ich einen Mandanten vertreten, der seit Jahrzehnten im Maßnahmenvollzug untergebracht ist und dem eine bedingte Entlassung vom Entlassungsgericht regelmässig mit der Begründung verweigert wurde, dass er sich noch nicht im Probewohnen in einer Nachbetreuungseinrichtung bewährt habe. Die bedingte Entlassung setzt nach der Praxis der Gerichte üblicherweise voraus, dass man sich in Vollzugslockerungen bewährt. Meinem Mandanten wurde aber das Probewohnen in einer Nachbetreuungseinrichtung von der Anstaltsleitung immer wieder verweigert. .
Das Entlassungsgericht, dass für eine bedingte Entlassung nur mehr das erfolgreiche Probewohnen verlangte, kann der Justizanstalt in Bezug auf den Vollzug und die Vollzugslockerungen keine verpflichtenden Aufträge erteilen, sondern es muss die betroffene Person in so einem Fall eine Vollzugsbeschwerde erheben. Darüber entscheidet ein anderer Senat, andere Richter, als über die Entlassung. . Während man aber im Verfahren über die bedingte Entlassung einen Anspruch auf Verfahrenshilfe hat und so einen kostenlosen Anwalt oder Anwältin zur Seite gestellt erhält, ist Verfahrenshilfe bei Vollzugsbeschwerden bisher gesetzlich ausgeschlossen. Wenn eine Person also nicht in der Lage ist, eine solche Beschwerde selbst zu verfassen und sich auch keinen Anwalt, keine Anwältin leisten kann, bleibt es bei der Verweigerung der Lockerungen und damit wird de facto auch die bedingte Entlassung unmöglich.
Dies ist eine Form der Rechtsverweigerung, wie der Verfassungsgerichtshof jetzt erkannt hat. Denn ein funktionierender Rechtsstaat setzt voraus, dass jede staatliche Entscheidung überprüfbar ist, dass man als Betroffener und Betroffene die Möglichkeit hat, dagegen eine Beschwerde einzulegen, also ein Rechtsmittel zu erheben, so dass eine übergeordnete Instanz die Entscheidung überprüft. Damit ein Rechtsmittel auch wirksam ist, muss es die Möglichkeit geben, sich erforderlichenfalls anwaltlich vertreten zu lassen, auch für bedürftige Personen.
Daher wird es ab 1. Juli 2026 bei Beschwerdeverfahren im Strafvollzug und im Maßnahmenvollzug die Möglichkeit geben, vor Gericht einen kostenlosen Rechtsanwalt, eine Rechtsanwältin, beigestellt zu bekommen. Das heißt nicht, dass diese Verfahrenshilfe in jedem Fall genehmigt werden wird. Es gelten die Voraussetzungen, die auch in anderen Verfahren gelten und die überprüft werden.
Bei welchen Beschwerden wird es in Zukunft möglich sein, Verfahrenshilfe zu bekommen?
Dies wird in allen Fällen möglich sein, in denen es schon bisher die Möglichkeit der Beschwerde im Strafvollzug gibt, also etwa die Rechte auf menschliche Behandlung, auf Hygiene und medizinische Versorgung, auf Schutz vor Gewalt und Missbrauch oder, wie im Falle meines Mandanten, auf Vollzugslockerungen und Unterbrechungen der Unterbringung. Auch in Bezug auf die Gestaltung von Besuchen wird es möglich sein, um Verfahrenshilfe anzusuchen, wenn etwa Tischbesuche verweigert werden, was insbesondere problematisch ist, wenn kleinere Kinder einen Elternteil im Gefängnis besuchen wollen.
Was sind die Voraussetzungen für Verfahrenshilfe?
Die Rechtslage muss so schwierig sein, dass man einen Anwalt, eine Anwältin braucht. Wenn also z.B. etwas nach dem Gesetz wortwörtlich zusteht und mit einer Begründung verweigert wird, die eindeutig dem Gesetz widerspricht, dann wird man vielleicht keine anwaltliche Vertretung brauchen. Aber wenn es etwa um die Unterbrechung der Unterbringung im Maßnahmenvollzug geht, dann wird ja ein Sachverständigengutachten benötigt, ob die Person die Gefährlichkeit dafür ausreichend abgebaut hat. Und wenn man Sachverständige braucht, dann wird man wohl auch einen Anwalt oder eine Anwältin brauchen.
Dann muss die Person bedürftig sein, sich also die anwaltliche Vertretung nicht leisten können – was ja im Vollzug sehr häufig der Fall ist.
Und das Verfahren darf nicht aussichtslos sein und nicht mutwillig geführt werden. Aussichtslos sind etwa Verfahren, in denen um Rechtsfragen geht, die nach der geltenden Rechtslage klar sind, zu denen es vielleicht höchstgerichtliche Judikatur gibt. Man kann da trotzdem einen Prozess führen, aber dafür wird vermutlich keine Rechtshilfe gewährt werden. Mutwillen könnte z.B. dann angenommen werden, wenn die betreffende Person erkennbar gar kein wirkliches Eigeninteresse hat. Aber das ist jedenfalls immer eine Einzelfallbeurteilung.
Wenn die Verfahrenshilfe verweigert wird, kann man dagegen eine Beschwerde an das Oberlandesgericht Wien erheben. Die muss man dann allerdings selbst formulieren, weil zu diesem Zeitpunkt eben keine Verfahrenshilfe gewährt wurde. Da kann man dann argumentieren, warum die Rechtslage so schwierig ist, dass anwaltliche Vertretung nötig ist, oder dass das Verfahren eben doch Aussicht auf Erfolg hat.
Wie verläuft nun so ein Beschwerdeverfahren?
Wenn es um eine Beschwerde gegen Bedienstete im Vollzug geht, ist die erste Instanz, bei der ich mich beschweren muss, die Anstaltsleitung. Die hat dann maximal sechs Monate Zeit für eine Entscheidung. Wenn sie in dieser Zeit nicht entscheidet oder ich mit der Entscheidung nicht zufrieden bin, kann ich mich an das Gericht wenden. Beschwerden gegen die Anstaltsleitung müssen gleich an das Gericht erhoben werden.
Alle Vollzugsbeschwerden, auch jene an das Gericht, müssen bei der Anstaltsleitung eingebracht werden. Die Anstaltsleitung übermittelt, wenn sich die Beschwerde gegen sie richtet, dann diesemit ihrer eigenen Stellungnahme an das Gericht. Wichtig ist, dass die Frist für eine Vollzugsbeschwerde sehr kurz ist, nämlich 14 Tage – diese kurze Frist sehe ich übrigens auch durchaus als problematisch. Für diese Beschwerde an das Gericht kann in Zukunft Verfahrenshilfe beantragt werden.
Es ist noch nicht klar, wie die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs gesetzlich umgesetzt werden wird. Üblich ist in Verfahrensordnungen, dass die Fristen für eine Eingabe durch den Antrag auf Verfahrenshilfevertretung unterbrochen werden. Ich nehme an, dass das auch hier so geregelt werden wird. Wenn ich für eine Beschwerde anwaltliche Vertretung brauche und die Beschwerde aber trotz Verfahrenshilfeantrags innerhalb von 14 Tagen abschicken muss, dann würde die Absicht des Verfassungsgerichtshofs ja wieder zunichte gemacht. Vermutlich wird also in Zukunft der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb von 14 Tagen eingebracht werden müssen und zwar wiederum über die Anstaltsleitung beim Gericht. Und wenn ein Verfahrenshilfeverteidiger, eine Verteidigerin, bestellt oder die Verfahrenshilfe abgelehnt wird, hat man dann wiederum 14 Tage Frist für die Beschwerde. Man kann im Übrigen auch noch nachträglich, im laufenden Verfahren, Verfahrenshilfe beantragen, dann direkt beim Gericht.
Das zuständige Gericht für solche Beschwerden ist das Vollzugsgericht. Pro Oberlandesgericht gibt es ein Vollzugsgericht am Sitz des Oberlandesgerichts, in dessen Sprengel die Anstalt liegt. Es gibt bei Vollzugsbeschwerden keinen Rechtszug zu den üblichen Höchstgerichten. Die erste Instanz ist die Anstaltsleitung, dann kommt das Vollzugsgericht und dann gibt es noch eine Beschwerdemöglichkeit an das Oberlandesgericht Wien, das bei Vollzugsbeschwerden die höchste Instanz für ganz Österreich ist. Das ist eine ganz einzigartige Konstellation, die es so kein zweites Mal gibt. Es gibt nicht einmal einen Fristsetzungsantrag an den Obersten Gerichtshof oder die Möglichkeit einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes der Generalprokuratur an den Obersten Gerichtshof. Wenn man sich über eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien in Vollzugsangelegenheiten beschweren will, kann man nur noch zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen.
Wenn ich Verfahrenshilfe beantrage, kann ich dann einen Anwalt, eine Anwältin für meine Vertretung vorschlagen?
Wenn man mit einem Anwalt, einer Anwältin, in Kontakt ist, die bereit ist, einen Fall in Verfahrenshilfe zu übernehmen, kann man das in den Verfahrenshilfeantrag schreiben: „Ich ersuche Herrn X oder Frau Y als Verfahrenshilfeverteidiger, -verteidigerin zu bestellen. Die Person hat sich mit der Übernahme der Verfahrenshilfevertretung einverstanden erklärt.“ Dann wird die Rechtsanwaltskammer nachfragen und wenn der Anwalt, die Anwältin das bestätigt, wird diese Person bestellt. Das Gericht bewilligt die Verfahrenshilfe, aber die Rechtsanwaltskammer des jeweiligen Bundeslandes bestellt dann die konkrete Person. Als Verfahrenshilfeverteidiger wird daher immer ein Anwalt, eine Anwältin aus dem jeweiligen Bundesland bestellt.
Sie haben auch noch eine weitere Änderung des Strafvollzugsgesetzes beim Verfassungsgerichtshof beantragt, die jetzt aber nicht Teil der Entscheidung ist. Wollen Sie dazu noch etwas sagen?
Im Unterschied zum Strafvollzug, wo der Zeitpunkt der Entlassung von vorneherein festgelegt ist, ist die Dauer des Maßnahmenvollzugs unbestimmt und potenziell lebenslang, zumindest für psychisch kranke Straftäter und -täterinnen. Das belastet die Untergebrachten dort am meisten. Daher spielt hier die bedingte Entlassung eine noch größere Rolle und damit sind auch die Vollzugslockerungen besonders relevant, ohne die man nicht bedingt entlassen wird. Nun wird aber die Gesetzesbestimmung zum Recht auf Vollzugslockerungen bisher so ausgelegt, dass man – auch wenn alle Voraussetzungen für Lockerungen zutreffen – nur das Recht auf eine Vollzugslockerung hat. Sobald ich also irgendeine Lockerung habe, die die Anstaltsleitung aussucht, habe ich kein Recht mehr auf eine weitere Lockerung. Eine Vollzugslockerung ist etwa schon, wenn während des Tages die Zellentüren geöffnet sind. Und damit gibt es eine Lockerung und ich habe, nach dieser Gesetzesauslegung, nicht das Recht auf begleitete und später unbegleitete Ausgänge, Therapie außerhalb der Anstalt, Freigang zur Arbeit draußen, etc. Alles Dinge, die notwendig sind, insbesondere im Maßnahmenvollzug, bevor ich überhaupt noch an eine bedingte Entlassung denken kann.
Es gibt hier auch nicht das Recht auf eine Beschwerde. Eine Beschwerde gegen die Verweigerung einer bestimmten oder weiterer Vollzugslockerungen wird nicht einmal inhaltlich geprüft, sondern von vorneherein als unzulässig zurückgewiesen. Ich werde also nicht bedingt entlassen, weil ich keine Vollzugslockerungen habe und mich nicht darin bewähren kann. Und ich kann ich mich nicht über die Anstaltsleitung beschweren, die mir die Lockerungen verweigert. Hier wird ein Spielraum für Willkür der Anstaltsleitung eröffnet. Das stellt eine klassische Rechtsverweigerung dar und eine krasse Verletzung des Rechts auf Freiheit.
Diese Situation war auch Gegenstand des Antrags beim Verfassungsgerichtshof. Der Verfassungsgerichtshof hat diese Frage aber nicht inhaltlich geprüft, weil er der Meinung ist, dass ein anderer Paragraph zusätzlich zu dem hätte angefochten werden müssen, den ich angefochten habe. Über die inhaltliche Berechtigung des Antrags wurde also gar nichts gesagt.
Bei nächster Gelegenheit, wenn Vollzugslockerungen verweigert werden und eine Beschwerde darüber nicht geprüft wird, sind wir dann damit wieder beim Verfassungsgerichtshof.
Herr Dr. Graupner, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Monika Mokre, Union für die Rechte von Gefangenen.
Sehen Sie hier das Video-Interview mit Dr. Graupner