In meinen zwei Artikeln „Es kann auch Sie treffen“ wurde ein ganz normaler Bürotag zum kompletten Desaster. Nachdem Sie eine ernstzunehmende Drohung gegen einen Kollegen geäußert hatten, wurde folglich die Polizei alarmiert und Sie zur nächsten Polizeidienststelle gebracht. Danach war nichts mehr, wie es einst war. Am Polizeirevier war die Stimmung immer wieder von Angst geprägt, da sie befürchteten, ihrer Freiheit beraubt zu werden. Das Rempeln eines Polizisten durch Sie erfolgte aufgrund Ihrer Erregung.
Trotz dieser Entgleisungen war der Versuch der Polizeibeamten, eine respektvolle und ruhige Atmosphäre zu schaffen, von Erfolg gekrönt. Die Beamten waren bestrebt, Sie unverzüglich zu vernehmen, zu belehren und die Ihnen zustehenden Rechte zu erläutern. Trotzdem mussten Sie in einer Arrestzelle übernachten.
Am nächsten Morgen wird Ihnen Frühstück von einer weiteren Beamtin gebracht und die weitere Vorgangsweise wird erklärt. Aufgrund der bereits erfolgten Fixierung des Termins beim Haftrichter erfolgt eine rasche Anreise. Eigentlich haben Sie vermutet, ein Rechtsanwalt würde nun in Ihre Zelle kommen und mit den Worten „Es handelt sich um einen Irrtum – man hält meinen Mandanten nicht länger fest!“ die Situation entschärfen. Es ist bedauerlicherweise bis dato nicht dazu gekommen.
Sogar Handschellen werden Ihnen angelegt, um Sie und alle anderen Beteiligten zu schützen.
Sie erachten diese Sicherheitsmaßnahme als exzessiv und weisen auf Ihren Beruf hin.
Es wurde dargelegt, dass Handschellen das adäquate Instrument für diese Konstellation wären.
„Welches Schicksal erwartet mich bei der Haftrichterverhandlung?„, fragen Sie sich, während Sie zum Streifenwagen eskortiert werden.
„Es wird geprüft, ob die Voraussetzungen für die Untersuchungshaft gegeben sind oder ob Sie zu Hause auf den Prozess warten können„, wird von einem weiteren Polizisten entgegnet.
Die Erinnerungen an den letzten Fernsehabend sind noch präsent. Sie können sich mit Sicherheit an den Anfangstext in „Law and Order“ – der Lieblingsfernsehserie Ihrer Partnerin – erinnern:
„Das Rechtssystem kennt zwei wichtige, voneinander unabhängige Behörden, die dem Schutz der Bürger dienen: die Polizei, die begangene Straftaten aufklärt, und die Staatsanwaltschaft, die die Täter anklagt. Dies sind ihre Geschichten.“ Sie bringen ein Seufzen hervor und haben die folgende Überlegung: „Das ist wohl nun meine Geschichte mit dem Titel – Unschuldig abgeführt.“
Während der Fahrt zum Gericht pflegen die Beamten angeregte Gespräche, in deren Verlauf sie über die Wochenendpläne und die Erlebnisse des letzten Urlaubs berichten. Sie fanden den Gedanken, in dieser Situation Unterhaltung zu suchen, unangemessen. Weiters fühlen Sie sich verängstigt, erniedrigt und total missverstanden. Ihre Tat manifestiert sich in Ihrer Vorstellungskraft in immer neuer Weise. War es vielleicht doch eine Überreaktion gewesen? Sie kannten einen solchen Gefühlsausbruch eigentlich nicht, und er war für Sie eine ganz neue Erfahrung.
Sie können sich exakt entsinnen, wie es Ihnen in der Arbeitsstätte heiß wurde und Sie nur noch Abscheu empfanden. Sie wollten doch nur, dass der Kollege endlich den Mund hält. Er sollte einfach nur in Furcht und Angst geraten. Böse Absichten hatten Sie doch nicht. Die Tatsache, dass man über einen langen Zeitraum schikaniert wurde, hat logischerweise Konsequenzen gehabt. Die ganzen Monate der Herabsetzung und Tadel, die ganzen Tage voller Kummer und Selbstvorwürfen waren nicht länger zu ertragen gewesen. Wäre es nicht logisch, wenn der Kollege an Ihrer Stelle hier sitzen würde?
Weder in Ihrer beruflichen Laufbahn noch in irgendeiner anderen Situation haben Menschen Ihnen jemals Unterstützung angeboten oder Sie mit ermutigenden Worten begleitet. Sie wurden immer als der Schuldige angesehen. Stets waren Sie gezwungen, Überstunden zu leisten, und stets war es Ihnen nicht vergönnt, als Erster in den Urlaub zu fahren. Schon lange hatten Sie das Gefühl, weniger wert zu sein. Ein gewöhnliches Rädchen im Getriebe eines riesigen Konzerns. Eventuell beabsichtigte man auch, dass Sie eines Tages die Fassung verlieren?
„Wir sind da!“ Mit dieser freudigen Ausdrucksweise, die man eher im Kontext eines erquicklichen Ausflugs vernimmt, werden Sie nun aus Ihren Gedanken gerissen. Die Tür wird geöffnet und Sie werden aus dem Wagen geholt und in ein großes Gebäude begleitet.
Die Begrüßung erfolgt durch den Sicherheitsdienst. Für einen kurzen Augenblick erfolgt die Abnahme der Handschellen. Nach dem Passieren der Sicherheitsschleuse erfolgt die erneute Anlegung der Handfesseln sowie die Mitteilung an die Beamten über die weitere Vorgehensweise.
„Wo ist eigentlich mein Anwalt?“, fragen Sie besorgt. Diese Frage kann von Frau Huber, der netten Gesetzeshüterin, die Ihnen das Frühstück gebracht hatte, nicht direkt beantwortet werden. Es wird vom zweiten Polizisten gemeint, dass der Richter danach gefragt werden könnte. Das Nebeneinandergehen bis zum zuständigen Büro erfolgt wortlos. Ihre Augen wandern den Gang entlang, aber von Ihrer Frau fehlt jede Spur.
Bestimmt war sie zu traurig, um zu kommen. Und vielleicht würde sich Inge – so heißt Ihre Frau – auch für Sie schämen. Über Ihre Verhaftung weiß bestimmt schon die ganze Nachbarschaft Bescheid. Was haben Sie nur getan? Ihre Kinder werden wohl kaum mehr das Haus verlassen können, ohne dass sie von bösen Worten getroffen werden. Während Sie den Beamten folgen, blicken Sie sich weiter um, aber es ist einfach nicht ein einziger Mensch hier, der ansatzweise so aussieht, als würde er sich um Sie kümmern oder Ihnen beistehen wollen. Tragen Sie die Verantwortung für diese Situation in vollem Umfang?
Zu guter Letzt halten die Staatsdiener inne und treten gemeinsam ein Arbeitszimmer ein. Ein älterer Herr – es stellt sich heraus, dass dies der hochgeachtete Justizbeamte ist – und ein deutlich jüngerer Mann begrüßt Sie. Der jüngere Herr fungiert fortan als Ihr Rechtsbeistand. Mit den Worten „Sie sind mein erster Mandant!“ wird somit der Versuch unternommen, die angespannte Situation zu unterbrechen.
In Ihrem Inneren sind Sie skeptisch, ob diese Tatsache wirklich vorteilhaft für Sie wäre.
Aus amerikanischen Krimi-Serien erfährt man, dass Anwälte ohne Erfahrung für den Anwaltsberuf eine Gefahr darstellen. Nun wird der Sachverhalt durch den Richter vorgelesen. Die Erklärung beinhaltet die Feststellung des dringenden Tatverdachts sowie das Vorliegen eines Haftgrundes in diesem Zusammenhang. Aufgrund dessen würde nun der Haftbefehl erlassen. Ebenso sprach der Haftrichter eine „Tatbegehungsgefahr“ aus.
Ein dringender Tatverdacht kann die Anordnung von Untersuchungshaft rechtfertigen. Dies ist in § 112 Absatz 2 der österreichischen Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Es müssen jedoch gleichzeitig ein Haftgrund und die Verhältnismäßigkeit gewahrt sein. Ein Haftgrund kann beispielsweise die Flucht- oder Verdunkelungsgefahr sein. Wenn bei einer Person die Vermutung besteht, dass sie eine weitere Straftat begehen könnte, und/oder wenn sie Beweismittel vernichten möchte, dann spricht man von Tatbegehungsgefahr. Das österreichische Strafprozessrecht sieht die Tatbegehungsgefahr als Haftgrund an. (§ 173 Abs. 2 Z 3 lit. b StPO) zur Anwendung kommt.

„Es ist verständlich, dass ich Sie nicht nach Hause entlassen kann.“ teilt der Richter mit. „Nein, das verstehe ich nicht! Das könnte wohl nur ein Irrtum sein!“, erwidern Sie erregt. Der Richter blickt von den Unterlagen herab und meinte nun ,,Ich möchte Sie nochmals an die gefährliche Drohung nach § 107 erinnern und ebenso an den tätlichen Angriff auf einen Polizeibeamtendies findet in § 269 Abs. 3 seine Anwendung.“
Nun übernimmt Ihr Anwalt das Wort und informiert nochmals über die Sachlage. Dies geschieht etwas laienhafter, als Sie es gewohnt sind. Er erwähnt unter anderem, dass es möglich ist, einen Enthaftungsantrag zu stellen und gegen die Anordnung zur Untersuchungshaft Beschwerde einzulegen. Er fragt, ob eines von diesen beiden Mitteln eventuell infrage käme, ebenso könnten Sie auch zum Sachverhalt beitragen und noch etwas hinzufügen. Von diesem Recht wollen Sie nun unbedingt Gebrauch machen und so teilen Sie mit, dass in Ihnen die Gefühle von Angst und Schrecken bei der Verhaftung aufgekommen sind. Abschließend wollen Sie auf ein Problem aufmerksam machen und teilen mit, dass bei künftigen Verhaftungen unbedingt Unterstützung von einem Psychologen gegeben sein sollte.
Wortlos werden Ihre Anmerkungen niedergeschrieben. Nun aber hatten Sie keine Lust mehr auf ein Gespräch und schon gar nicht auf irgendwelche Formalitäten wie eine Beschwerde einzureichen oder einen Enthaftungsantrag zu stellen. Auch dies teilen Sie sofort mit. Missverständnisse sind Ihnen ohnehin zu Eigen. Die Beschwerde würde wahrscheinlich sowieso irgendwo verloren gehen oder käme aufgrund eines Fehlers zurück. Letzten Endes kennen Sie das aus Ihrer Arbeit. „Leider wurde das Formular nicht korrekt ausgefüllt“ heißt es dann meistens, und man muss selbst nach dem Fehler suchen, den man oft nicht findet und dann frustriert aufgibt; können Sie sich noch daran aus dem Büroalltag erinnern.
Nachdem Sie diese wichtigen Möglichkeiten nicht nutzen wollen, wird dies in den Unterlagen vermerkt. „Es war wahrscheinlich richtig, dass Sie nichts mehr zu Ihrem eigenen Sachverhalt sagen wollten“ befinden Sie „,,wer weiß, in was für Schwierigkeiten Sie sich womöglich sonst verstrickt hätten?“ Haben Sie zuviele Gefühle und Informationen preisgegeben? Ein Satz aus einer US-Serie kommt Ihnen in den Sinn, der lautet: „Alles, was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden!“
Auch die Vorführung beim Haftrichter war nun beendet. Ihr Anwalt spricht am Ende noch hoffnungsvolle Worte zu Ihnen und fordert Sie auf, durchzuhalten. Bedauerlicherweise kann der Anwalt Ihnen keine Auskunft darüber geben, wo Ihre Frau ist. Er nimmt Abschied mit dem Kommentar: „Halten Sie durch – Ihre Frau wird sicher bald bei Ihnen sein!“ Frau Huber mahnt inzwischen zur Eile und somit haben Sie auch keine weitere Möglichkeit, sich mit Ihrem Anwalt auszutauschen. In Begleitung der Polizeibeamten und dem gerade ausgestellten Haftbefehl in den Händen müssen Sie schweren Herzens den Weg zum Gefängnis antreten, um dort „aufgenommen“ zu werden.
Diese Aufnahme (auch als Aufnahmeverfahren bezeichnet) stellt den ersten Schritt zum Strafvollzug dar und umfasst die Aufklärung des Gefangenen über seine Rechte und Pflichten, eine medizinische Untersuchung sowie die Vorstellung bei der Gefängnisleitung. Im österreichischen Strafvollzugsgesetz ist dies festgelegt. Bis zur Verhandlung dürfen Sie in der Justizanstalt auf das Urteil warten. Was können Sie nun erwarten? Wie geht es mit Ihnen weiter? Was passiert in der Untersuchungshaft, und könnte sich am Ende vielleicht alles als ein dummer Irrtum herausstellen? Oder landen Sie jahrelang im Strafvollzug oder womöglich sogar in einer Forensisch-therapeutischen-Einrichtung?