Ist es möglich, mit Hilfe von Fotografien, den Menschen außerhalb der Gefängnismauer einen Einblick in unseren Haftalltag zu geben? Gastartikel einer Insassin der Justizvollzugsanstalt Chemnitz
Diese Frage stellten wir uns zusammen mit Studierenden der Bauhaus-Universität Weimar im Rahmen des Kunstprojekts „Durch Fotografie keine Einsichten“. Während der viermonatigen Projektdauer arbeiteten wir drei Wochen hier in der JVA gemeinsam, um dieser Frage auf den Grund zu gehen. Mittels Bildaufnahmen versuchten wir, der Außenwelt einen realistischen Einblick in unser Leben zu geben. Ob dies gelungen ist, wird sich an den Reaktionen zeigen. Seit 13.06.2025 verzieren großformatige Fotografien die Maueraußenseite der JVA.
„Der Künstler erschafft die Wirklichkeit, der Fotograf sieht sie.“
Karl H. Pawek
(* 27. August 1906; † 24. September 1983)
Österreichischer Mitbegründer verschiedener Zeitschriften, Redakteur, Fototheoretiker und Kurator
Aber von Anfang an.
Das Kooperationsprojekt startete am 24.02.2025. Beim ersten Zusammentreffen waren alle etwas zurückhaltend und aufgeregt, da keiner so recht wusste, was da eigentlich auf alle zukommen würde. Fragen über Fragen gingen uns durch den Kopf und wir Gefangene waren besorgt, wie man uns wohl gegenübertreten würde. Aber die Sorgen verflogen schnell und nach einer kurzen Vorstellungsrunde war das Eis gebrochen. Nachdem man sich ein wenig ausgetauscht hatte und ein kurzer Überblick über den Ablauf der Woche geschaffen wurde, fanden wir uns in drei Zweier-Gruppen zusammen und gingen abwechselnd jeden Tag mit einem anderen Studierenden durch das JVA-Gelände, um passende Motive für die Fotografien zu finden.

Fotograf: Richard Schött
Interessant dabei war, dass jeder der drei Fotografen eine andere Herangehensweise und einen eigenen Stil mitbrachte, sodass ganz unterschiedliche Aufnahmen entstanden sind: von Stillleben, über Schwarz-Weiß-Aufnahmen, bis hin zu architektonischen Fotografien – es ist alles dabei.
Was dieses Projekt von anderen unterschied, war, dass wir der passive Part waren. Gefangene fotografierten nicht selbst, sondern fungierten als eine Art „Local Guides“, die den Fotografen die Orte zeigten, an denen unserer Meinung nach Bilder entstehen konnten, die den Menschen draußen verdeutlichen könnten, wie es ist, hinter Gittern zu arbeiten und zu leben.
Wir zogen in den jeweiligen Gruppen los, um passende Fotoobjekte herauszupicken. Motive fanden wir unter anderem in den verschiedensten Arbeits- und Ausbildungsbetrieben, auf der Sucht- und Jugendstation, im Lesecafe, der Redaktion HaftLeben, in leeren sowie von uns bewohnten Hafträumen. Auf diese Weise erhielten wir die Möglichkeit, Einblicke in die verschiedensten Bereiche der JVA zu bekommen, etwas das für Gefangene normalerweise tabu ist.
Am 11.04.2025 war es dann soweit, dass wir uns die entstandenen Fotografien anschauen konnten. Etwas überfordert von der Menge an Bildern, die entstanden waren, rätselten wir gespannt, welche es in die engere Auswahl geschafft hatten. Bei so vielen schönen Motiven schien es fast unmöglich, eine Wahl zu treffen. Nachdem man einen groben Überblick bekommen hatte, uns die Favoriten vorgestellt worden waren und wir uns auf das Titelbild für den Flyer geeinigt hatten, war der Tag leider auch schon wieder vorbei.
Jetzt hieß es erneut: Warten!
Zwei Monate später wurde dann die letze Projektphase eingeleitet: der Aufbau und die Vorbereitung für die Vernissage im alten Speisesaal. Jetzt sahen wir das erste Mal die endgültige Auswahl der Fotografien, die einerseits die äußere Mauer schmücken sollten und andererseits die Wände in der Ausstellung.

Der Hauptbestandteil unserer Aufgabe in der Woche bestand darin, die Plakate in die Rahmen zu bringen. Das gestaltete sich durchaus aufwendiger als gedacht, denn es durfte kein Staubkorn zwischen Foto und Schutzhülle zu sehen sein. Nachdem dies erledigt war und die Fotografien an der Wand platziert waren, fand am Freitag, den 13.06.2025, die Vernissage statt. Da auch die Presse vertreten war, beschlossen wir allerdings als Gruppe, dass wir aus Selbstschutz nicht daran teilnehmen wollten. Wir kamen später dazu, als die Ausstellung für die Gefangenen eröffnet wurde.
Fotograf: Richard Schött
Abschließend kann ich sagen, dass dieses Projekt mal etwas ganz Anderes war. Ich empfand es als sehr angenehm, dass man nicht nur eine Woche zusammengearbeitet hat, sondern sich über mehrere Monate zum Austausch getroffen hat. Ein großer Dank geht daher an die Studierenden Marleen, Luisa und Tarek und deren Gruppenleiter Pio, dass sie uns so offen und aufgeschlossen gegenübergetreten sind und sich auf dieses besondere Projekt eingelassen haben. Es war eine wertvolle Bereicherung für beide Seiten.
Dieser Gastartikel stammt von HL-Art.
Hierbei handelt es sich um das Kürzel von Art, der Autorin des Artikels, die beim internen Insassinnenmagazin HaftLeben (HL) der JVA Chemnitz tätig ist. Bei Interesse über die Arbeit von HaftLeben können Sie sich gerne via Mail melden: HaftLeben@t-online.de
Fotostrecke
Die Ausstellung „Durch Fotografie keine Einsichten“ präsentiert ein außergewöhnliches Kooperationsprojekt zwischen Studierenden der Bauhaus-Universität Weimar und inhaftierten Frauen der Justizvollzugsanstalt Chemnitz. Von Juni bis September 2025 werden großformatige Fotografien an den Außenmauern der JVA gezeigt und damit in den öffentlichen Raum getragen.
Im Mittelpunkt steht die Frage, wie sich Einblicke in den Gefängnisalltag gestalten lassen, ohne voyeuristisch oder vereinfachend zu wirken. Statt dokumentarischer Abbilder entstanden künstlerische Arbeiten, die neue Perspektiven eröffnen und das Spannungsfeld zwischen Innen- und Außenwelt sichtbar machen.
Die Studierenden Luisa Hörning, Marleen Kölmel und Tarek Rishmawi entwickelten gemeinsam mit den Insassinnen Anis, Moni, Chrisi, Art, Löckchen und Pop individuelle künstlerische Konzepte: von Stillleben aus persönlichen Gegenständen über fotografische Streifzüge rund um das Gefängnisgelände bis hin zu Arbeiten, die den Produktionsstätten der JVA eine neue Bildsprache verleihen. Die Studierenden arbeiten momentan unter der Herausgabe einer Publikation zur Ausstellung, die demnächst käuflich erwerblich wird.
Marleen Kölmel kommentiert aus der Sicht der Kreativschaffenden die Zusammenarbeit mit den Insassinnen.
Das Projekt war unglaublich spannend, da wir KünstlerInnen innerhalb der Mauern mit offenen Armen empfangen wurden, und uns eine große Wertschätzung entgegengebracht wurde. Es war menschlich sehr bereichernd Einsichten in verschiedene Lebensrealitäten mitzubekommen. Die Zusammenarbeit war einzigartig aufgrund der außergewöhnlichen Rahmenbedingungen, was zu Einschränkungen aber auch zu neuen Möglichkeiten im gemeinsamen Kreativprozess führte.
Die Ausstellung gliedert sich in zwei Teile: Ab dem 13. Juni 2025 waren die großformatigen Arbeiten im Außenbereich der JVA frei zugänglich; ein ergänzender Ausstellungsteil im alten Speisesaal kann beim Tag der offenen Tür im Herbst 2025 besichtigt werden. Die Ausstellung an der Außenmauer der JVA Chemnitz in der Thalheimerstraße 29 kann noch bis zum 30. September besichtigt werden.
Das Projekt wurde von Susanne Koch (JVA Chemnitz) und Pio Rahner (Bauhaus-Universität Weimar) geleitet und entstand mit Unterstützung des Sächsischen Justizministeriums, der Justizvollzugsanstalt Chemnitz sowie des Förderfonds „Lehr-Ideen“ der Bauhaus-Universität Weimar.





Sinnbildlich gab es eine Ausstellung außerhalb (oben) und innerhalb (unten) der Gefängnismauern.

Die Studierenden: Tarek Rishmawi, Luisa Hörning und Marleen Kölmel (von links nach rechts)

Alle Fotografien zur Ausstellung wurden von Richard Schött angefertigt.